Waren die freien Werkstätten Stiefkinder der Entwicklung



Vor 25 Jahren: Sind die freien Werkstätten Stiefkinder der EDV-Entwicklung? 

Die Fixierung auf diese Kundengruppe hatte unterschiedliche Gründe. Ein Hauptaugenmerk lag vor allem darauf, die Vertriebskosten eines Produkts möglichst auf einem niedrigen Niveau zu halten. Denn mit der Empfehlung eines Herstellers konnten diese Kosten entscheidend gesenkt werden. So wurde der erste teuere Kontakt zum Interessenten vom Hersteller oder Importeur selbst angebahnt.
Mit der Unterstützung der regionalen Mitarbeiter, der Hersteller und Importeure ließen sich die Produkte auch leicht an den Mann bringen. Man glaubte, dass man sich so ganz auf die Entwicklung und die Betreuung des Produkts nach Vorgaben der Hersteller konzentrieren könne und nahm an, dass sich der EDV-Anbieter im Grunde nur noch um die Betreuung und Pflege seiner Anwender und Kunden kümmern mussten. 

Fast alle Anbieter auf dem Softwaremarkt für Kfz-Betriebe gehen auch heute noch diesen Weg, denn eine Herstellerempfehlung ist für alle eine sichere und gut kalkulierbare Größe. Doch die Marktentwicklung in den letzten Jahren ließ für viele keine andere Wahl. Man besuchte nun auch die kleine freie Kfz-Werkstatt. So wurde oft mit Zähneknirschen auch der freie und unbequeme Kfz-Betrieb angegangen. 

Diese Kundengruppe war laut Aussagen der EDV-Anbieter besonders schwierig, da sie erstens größere Ansprüche als ein markengebundener Kfz-Händler hatte und dafür auch noch weniger Geld ausgeben wollte. Aber die Marktsättigung zwang eben auch diesen Kundenkreis mit ins Kalkül zu ziehen. Und so wurden von allen Softwareanbietern die freien Kfz-Werkstätten als große, neue Kunden- und Interessentengruppe entdeckt. 

Ein Potential, das fast 40 Prozent aller Kfz-Unternehmen in Deutschland ausgemacht hat, konnte man auf die Dauer nicht brachliegen lassen. Damit man schnell eine geeignete Lösung parat hatte, wurden oftmals die markengebundenen Lösungen einfach auf die Bedürfnisse umgeschrieben und als die optimale Lösung für den freien Kfz-Unternehmer angepriesen. Dass man dabei immer schwierige Kompromisse eingehen musste, hat man besser verschwiegen. 

Die Reaktion auf eine Umfrage bei den Softwareanbietern zeigte, dass sich die meisten nur halbherzig zu ihren Aktivitäten auf diesem Gebiet bekannten. Dabei mussten gerade Newcomer zuerst den harten Weg in den Markt über die freien Werkstätten gehen und viele Entwicklungen, die später als die Idee in der Branche gelobt wurde, sind zusammen mit den kleinen Anwendern um die Ecke entwickelt worden. 

Im Grunde war es nicht schwer, für eine freie Kfz-Werkstatt eine passende Lösung zu schaffen. Diese benötigt eine einfache, leicht erlernbare Werkstattabwicklung und Fakturierung, eine aussagefähige Lagerverwaltung und ein vernünftiges Bestellwesen. 

Drei Punkte, die alle Softwareprodukte auf dem Markt in einer mehr oder minder guten Qualität besaßen. All diese Dinge wurde von allen Anbietern gelöst. Doch der Teufel steckte wie bei allen Dingen im De-
tail. So ließen sich die unterschiedlichen Nummernkreise, die Größe der Ersatzteilnummern, die verschiedenen Konditionen und Rabatte der Lieferanten oftmals nur unzureichend bewältigen. 

Bei den Kunden- und Fahrzeugstammdaten konnten oftmals wichtige persönliche Bemerkungen, die man in der Vergangenheit schnell mal auf die Rückseite der Kundenkartei getragen hat, nicht sinnvoll erfasst werden. Und das Schreiben einer einfachen Rechnung an einen Durchgangskunden, der die Werkstatt mit größter Wahrscheinlichkeit nie mehr betreten wird, war ein mühevolles Unterfangen mit Sprüngen durchs gesamte Programm. 

Als größtes Problem stellt sich aber die preiswerte Versorgung mit Ersatzteilnummer und Preisen dar. Die Automobilhersteller und Impor-teure hatten kein Interesse, diese Daten den freien Werkstätten zur Verfügung zu stellen, denn ihnen war ja daran gelegen, dass die Exklusivität ihrer Händler geschützt wurde. Alle Hersteller haben sich nach dem Fall der GVO sehr schnell auf die neue Situation eingestellt, trotzdem wurde es kein Eldorado für die freien Werkstätten.

Denn was nützte ihnen der Bezug von Daten, wenn die meisten Anwender für die Reparatur der unterschiedlichsten Fahrzeuge immer nur einen kleinen Anteil an Daten aus der riesigen Anzahl von Herstellerdaten brauchten. Aus diesem Grunde etablierten sich Reparaturdatenbanken bis zum heutigen Tag.

Erwin Füßl 1996

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