Rasen ohne Fahrer



Dank der Digitalisierung wird es auf deutschen Autobahnen und Landstraßen bald deutlich ruhiger, das glaubt ein Kommentator in einem Fachjournal. Wer zu spät dran ist und die verlorene Zeit durch die bislang übliche Formel »Höchstgeschwindigkeit+X« wieder reinholen will, wird dann von seinem smarten Automobil unsanft ausgebremst, so die Pressemeldung.
Auf der langsameren Seite des fahrerischen Spektrums, also auf der linken Spur der Autobahn, wird das natürlich erst recht dazu führen, dass sich einige Fahrer zum Geschwindigkeitswart berufen fühlen und ihre Mitbürger noch unter das erlaubte Tempo herunterbremsen. Das können sie auch in aller Ruhe tun, da der automatische Abstandswarner dafür sorgt, dass ihnen der enervierte Hintermann nur noch aus gebührender Ferne Grüße mit seinem nervösen Lichthupen-Finger heimleuchten kann. Und so rollt dann der 100.000 Euro teure Panzer-Sportwagen, kurz SUV, einträchtig im Gänsemarsch hinter dem untermotorisierten japanischen Billig-Kleinstwagen her.
So beschreibt der Kommentator.

Wer sich täglich auf deutschen Straßen bewegt, der weiß, dass diese schöne neue Verkehrswelt für viele passionierte Hobby-Schumis dann doch ein gutes Stück zu ruhig sein dürfte. Zwar sieht sich Deutschland gerne als Vorbild der sozialen Marktwirtschaft mit ihren ausgleichenden Kräften, aber spätestens beim Automobil hört der Spaß der Gleichmacherei bekanntlich auf. Und das nehmen sie sehr sehr ernst.

Denn wenn ein Credo tief in der deutschen Leitplanken-Kultur verankert ist, dann dieses: »Wer mehr leistet, der soll gefälligst auch mehr Leistung unter der Haube haben«. Daraus könnte allerdings durch die Technisierung des Fahrens nun ein völlig neues Mantra entstehen und eine neue Bewegung entstehen. Weil die alten Rostlauben noch nicht mit den entsprechenden Systemen ausgestattet sind, werden dann Annoncen im Stil von »Tausche Porsche Cayenne Modell 2022 gegen Opel Astra F mit TÜV« erscheinen. Um optimal von dieser digitalen Umwandlung der Machtverhältnisse auf unseren Straßen profitieren zu können, haben Unternehmen schon vor Jahren einige Tochter-GmbHs gegründet, die mittels ungefragt angebrachten Flyern an der Windschutzscheibe »Kaufe jedes Auto — Zustand egal« landesweit in großem Stil vermeintlich wertlose Schrottmühlen einsammeln. So wird es vielleicht kommen.

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